Arianes Kaffeereise – Kaffee ist ein Weltenbummler

In einer dreiteiligen Artikelreihe berichtet Ariane Vera über die faszinierende Geschichte des Kaffees jenseits der Tasse. Sie berichtet über die Reise zu den Wurzeln der Kaffeepflanze, von Dublin, über Buenos Aires, nach Mexiko, Uganda und schließlich nach Deutschland.

Liebe Lesende

Ich möchte gerne auf eine Reise mitnehmen. Lange Zeit habe ich unbewusst Kaffee getrunken, heute bin ich davon überzeugt, dass wir mit einer Tasse Kaffee die Welt ein Schlückchen besser machen können. Ich habe während meiner Studienzeit in Schottland im Rahmen einer Veranstaltung mit einer Kaffeeproduzentin aus Nicaragua zusammengearbeitet – ein Erlebnis, das mich prägte. Auf einmal bekam Kaffee ein Gesicht, Worte, Geschichten.

Für ein Projekt, das sich dem Kaffee widmet, reiste ich Anfang Mai diesen Jahres in den Süden Mexikos – dort sah ich Kaffeeplantagen und tauschte mich mit Kaffeeproduzent*innen aus. Kaffee legt eine Weltreise zurück, bevor wir ihn in unseren Tassen finden. Kaffee verbindet die Welt. Wohin reist er? Woher kommt er? Welche Geschichten erzählt er? Eine Artikelreihe über die beeindruckende Geschichte des Kaffees, über Stimmen, die wir sonst kaum hören, Nachhaltigkeit, Völkerverständigung – und eine gemeinsame, geteilte Liebe für eine Tasse Kaffee.

Blick über den Tassenrand

KaffeeIch hatte die Tatsache, keinen Kaffee zu trinken, für gegeben gehalten. Doch Tatsachen änderten sich. Ganz so wie der Milchschaum, welcher seine Form über das Trinken eines Cappuccinos hinweg änderte. Bis er schließlich ganz verschwand, sofern er sich nicht an das Innere der Tasse geklebt hatte. So änderte sich auch meine Tatsache des Kaffeetrinkens – besser, des Nichttrinkens – sobald ich einen Schritt über den Tassenrand gewagt hatte und nach Dublin gezogen war.

Dublins Kaffee – Ein Lebensstil

Es hatte etwas von Kunst und Kultur, was dort um den Kaffee wirbelte, wie die vom Meer gehauchte Brise, die durch die Straßen Dublins wehte. Es wirkte wie ein eigener Lebensstil, ein Moment, welchem Beachtung geschenkt wurde, ein Statement. Weitaus mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte, ich war geradezu überrascht – ja, overwhelmed! Was machte diese Tasse, die bis dato so unscheinbar gewesen war, so banal, so platt, so unaufregend? Nun, sie gab eine Show, und ich saß begeistert im Publikum, fasziniert, interessiert, und auch etwas ahnungslos.

Kaffee – Eine Kunst

Ich beobachtete Baristas dabei, wie sie Muster in den Milchschaum malten, wissend ihre geübten Nasen über Bohnen hielten, ihre Hand gleichmäßig beim Ausschenken von Wasser bewegten, und Kunstwerke innerhalb weniger Minuten kreierten. Kaffee bekam plötzlich viel an Aufmerksamkeit, und, dem zu verdanken, richtete sich mein Fokus ebenso mehr auf das, was vor mir lag. Nicht einfach nur ein Kaffee, vielmehr, Geschichten, alle vereint in einer Tasse.

Ebenso lernte ich den sozialen Aspekt einer Tasse kennen – man traf sich zum Kaffee. Etwas, was man bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt hatte, als sich der Begriff „Kaffeeklatsch“ in die Sprache geschlichen hatte. Kaffee wurde Teil meines Alltags. Mehr unwissend, aber zufrieden, sofern schöne Muster im Milchschaum lagen. Zuhause trank ich kaum Kaffee, suchte nach dem Kaffeemoment in Cafés, ein Moment der selten, aber sehr geschätzt war. Kaffee blieb ein nettes Detail, nicht ganz, aber doch noch, nebensächlich. Wie würde sich das ändern? Ich zog weiter. Ich flog nach Argentinien.

Kaffee in Argentinien

ArgentinienGab es Kaffeepflanzen in Argentinien? Nein, aber Zeit. So viel, dass das Kaffeetrinken keine reine Nebensache blieb und es nicht länger ausschließlich auf einen Knopfdruck auf einer funktionstüchtigen Maschine beschränkt war.

Ich fand die French Press hinter dem Toaster. Etwas Staub klebte daran, eigentlich überall, doch das ließ sich abwaschen. Nun müssten Minuten genommen werden, um Kaffee zu kochen. Einige Tage später entdeckte ich den Espressokocher in einer Küchenschublade, er lag da, so banal wie Besteck oder unbenutzte Brotdosen. Nun müsste man sich gar Mühe geben, um Kaffee zu kochen.

Es öffnete sich die Tür zu einem Universum an Fragen. Woher kam der Kaffee, wie kochte man ihn, was machte der Kaffee, wenn er mit Wasser in Kontakt kam, und schmeckte er anders, wenn man an der Art des Brühens etwas änderte? Selten hatte ich etwas wie Stolz gefühlt, beim Halten einer Tasse Kaffees in meiner Hand. Ich trat über die Türschwelle hinaus in den Garten, setzte mich in den Schatten einer Palme oder eines Pflaumenbaums, und trank Kaffee, als hätte ich der Welt soeben ein Geschenk gemacht. Da war es. Die Erkenntnis, jede Tasse Kaffee könnte ein Geschenk sein, und von diesem Moment an sollte es nie anders sein. Es drehte sich nicht mehr länger um mich – welche Hände trugen ebenso diese Tasse?

Das Kaffeetrinken wurde zu einer Wurzel, die mich fest mit der Erde verband, auf der ich stand. Kaffee wurde zu einer Verantwortung. Nicht mehr länger waren es nur „ich und meine“ Tasse – ich wurde Teil einer Menge.

Seitdem …

Bis ich die eigentlichen Wurzeln der Kaffeepflanze sehen würde, würden noch einige Jahre verstreichen. Bis dahin jedoch, würde sich eines nicht ändern – eine Tasse Kaffee war von diesem Moment an eine Geschichte, an welcher weitere Hände als die eigenen, und die der Baristas, sichtbar werden würden. Eine Tasse Kaffee vereint eine Vielzahl an Schritten, von welchen meist nur zwei greifbar werden – die Zubereitung und das Trinken. Was geschah bis dahin? Diese Frage würde mich noch weiter begleiten, bis sich, völlig unerwartet, die Möglichkeit bot, bis zu den Wurzeln zu reisen. Das aber, war eine weitere Geschichte.

Im nächsten Artikel geht es um Victor, einen Barista, um eine im Büro stehende Kaffeemaschine in Frankfurt am Main, eine Kaffeekanne auf der Sierra Morena, und um den Teil der Geschichte, der uns bis zu den Wurzeln des Kaffees bringt.